Einige Gedanken zum Zuhören

anlässlich des Internationalen Tags des Zuhörens

Vergangenen Freitag war internationaler Tag des Zuhörens. Ein Tag, der mich berührt – nicht nur, weil das Zuhören in meinem Beruf als Coach etwas Grundlegendes ist. Es ist ein zentrales Element in beinahe allem, was ich tue – auch in meiner Arbeit als Filmemacherin, wenn fremde Geschichten langsam Gestalt annehmen und plötzlich in ihrer ganzen Kraft auf der Leinwand stehen.
Aber was genau bedeutet es eigentlich, zuzuhören?


Otto Scharmer spricht in seiner „Theorie U” von vier Ebenen des Zuhörens:

  • Downloading – zuhören, um das zu bestätigen, was ich sowieso schon denke.
  • Faktenbasiertes Zuhören – offen sein für das, was neu und ungewohnt ist, aber noch überwiegend auf der kognitiven Ebene bleiben.
  • Empathisches Zuhören – spüren, was gesagt und auch, was nicht ausgesprochen wird.
  • Schöpferisches Zuhören – mich neugierig einlassen auf das, was vielleicht gerade erst entsteht; auf das, was noch völlig offen ist.

Mir hilft es, mir diese Ebenen ab und zu bewusst zu machen und mich zu fragen, mit welchem Ohr ich gerade höre – und auch, wie sich das Erlebte dadurch verändert.
Im feministischen Coaching eröffnet das Zuhören für mich noch einmal ganz eigene Dimensionen, zu denen ich ein paar Gedanken mit dir teilen möchte:

Der Raum zwischen den Worten

Zuhören bedeutet für mich nicht bloß, einer Technik zu folgen. Vielmehr verstehe ich es als eine Einladung – einen Raum aufzumachen, in dem auch das Leise, das Unfertige, die Pausen, die Körpersprache und das atmosphärisch Unsagbare ihren Platz finden. Im Alltag bleibt dafür oft wenig Zeit. Alles, was ambivalent, leise oder einfach nur „nicht fertig” ist, rutscht durch die Lücken.
Im Coachingraum darf genau das auftauchen. Ich achte bewusst auf die leisen Töne – auf Pausen, auf Blicke, auf Unausgesprochenes. Gerade da liegt so viel – und meist mehr als in den lauten Parolen. Ambivalenzen und Komplexität muss nicht sofort aufgelöst werden. Sie darf sein.

Eine Einladung zur Selbstwirksamkeit

Ich begegne häufig Frauen, die in gewisser Weise die eigene Stimme verloren oder leise gedreht haben. Und das während sie für andere oft sehr stark und mit lauter Stimme einstehen.  Auch die Stimmen der anderen über sie klingen oft sehr laut in ihrem Inneren.
Mir ist es wichtig, Ermutigung zu bieten, dass die eigene innere Stimme wieder hörbar und sprechbar wird – ohne Bewertung, ohne vorschnelle Einordnung.

Im feministischen Coaching darf alles ausgesprochen werden, das manchmal nirgendwo anders hinpasst. Hier darf Raum entstehen für das Eigene – auch, wenn es sich ungewohnt oder egoistisch anfühlt. Möglicherweise ist genau das ein erster Schritt zur Selbstwirksamkeit.

Grafitty von drei Frauen, die vor einer bunten Wand in die Höhe springen.

Entgegen alten Gewohnheiten

Zuzuhören – wirklich zuzuhören, mit Herz, Verstand und Bauch – ist für mich immer auch ein kleiner Akt des Widerstands. Widerstand gegen den Automatismus, sofort Lösungen finden zu müssen. Widerstand gegen das Bedürfnis, alles richtig machen zu wollen. Widerstand gegen den inneren Kritiker oder die innere Kritikerin, die so schnell urteilen. Zuhören ist für mich einen achtsamen Raum schaffen, in dem alles erstmal da sein darf. Ohne „Plan”, ohne sofort klären zu müssen, wohin die Reise gehen soll.

Sich selbst als Expertin erleben

Coaching ist für mich kein Expertenmonolog von Seiten des Coaches. Sondern ein gemeinsamer Prozess, in dem du als Klientin die Expertin deiner eigenen Erfahrung bist oder werden darfst.

Mein Job ist es, zuzuhören, zu halten, manchmal Impulse zu geben und Resonanz zu bieten. Entscheidungshoheit, Tempo und Richtung — das bestimmst du.

Wenn du dich wirklich gehört, gesehen und ernst genommen fühlst, dann spürst du: Hier darf ich mich ausprobieren. Hier darf ich herausfinden, was für mich wahr oder stimmig ist. Und dann kann Neues entstehen.

Verkörpertes Zuhören

Viele Frauen, die mich aufsuchen, bringen den Wunsch mit, weniger im Kopf zu sein und sich wieder mehr zu spüren. Für mich ist der Körper ganz bewusst mit dabei – als Raum, in dem Erfahrungen, Gefühle und alte Geschichten gespeichert sind. Was zeigt sich als Enge, was als Weite? Wie verändern sich Empfindungen im Gespräch oder in der Stille?

Zuhören heißt dann auch, körperliche Reaktionen wahr und ernst zu nehmen. Immer wieder spüre ich, wie echte Erkenntnis sich erst dann ganz verankert, wenn sie nicht nur gedacht, sondern im ganzen System angekommen ist.

Spielräume entdecken

Zuhören bedeutet für mich nicht, Problemgeschichte um Problemgeschichte anzureichern. Vielmehr geht es darum auch Wünsche, Visionen, Alternativen mal auszusprechen, sie sich entwickeln zu lassen. Was könnte entstehen? Welche Möglichkeiten, Räume, Türen – auch wenn sie erst als Ahnung auftauchen – zeigen sich, wenn wir den Blick weiten? Es entsteht ein Raum, in dem Zweifel, Sehnsucht, Ambivalenz und Neugier gleichermaßen Platz haben.

Ein Möglichkeitsraum, keine Komfortzone

Zuhören schafft keinen kuscheligen Schonraum, sondern einen Möglichkeitsraum, in dem alles da sein darf – Unsicherheiten und Zweifel, laute und leise Stimmen. Es braucht keine perfekten Antworten. Viel entscheidender sind Aufmerksamkeit, Resonanz und ein gemeinsames Forschen.

 

Grafitty von drei Frauen, die vor einer bunten Wand in die Höhe springen.

Ich lade dich ein: Schenke anderen Räume in denen du sie hörst. Und such dir Räume, in denen du wirklich gehört wirst. Wage es, dein Eigenes wieder wichtiger zu nehmen, Komplexität und Ambivalenzen zuzulassen, und neue Spielräume für dich zu entdecken – in deinem Tempo, auf deine Art. Veränderung beginnt genau hier: wenn wir uns aufmerksam zuhören – anderen und auch uns selbst.

Lust auf mehr Impulse in direkt in dein Postfach?

Dann melde dich an für meinen Newsletter!

 

Cookie Consent mit Real Cookie Banner