Ein persönliche Reflexion
Ich ziehe um. Ich sehne mich schon lange nach mehr Raum – für mich, für meine Lieben, für alles, was entstehen kann und will.
Lange sah es so aus, als gäbe es diese Möglichkeit in einer Stadt wie Berlin nicht mehr. Doch nun öffnet sich eine Tür zu diesem Traum von mehr Platz, von Freiheit und Übersichtlichkeit.
Ich sitze in der alten Wohnung. Es ist voll. All die Gegenstände um mich herum scheinen mich zu erdrücken. Ein Gefühl von Enge treibt mich zum Ausmisten. Ich beginne Stück für Stück alle Ecken der Wohnung durchzugehen.
Immer wieder öffnen sich Fenster in die Vergangenheit, und ich sehe mich gefangen in einem ewigen Widerstreit: Der Wunsch nach Klarheit, nach Dinge gehen lassen auf der einen Seite – und das Bedürfnis nach Bewahren auf der anderen.
Es geht mir nicht nur um das Festhalten von Dingen, die eventuell noch nützlich sein könnten. Ja, darin bin ich auch nicht sonderlich gut. „Das kann man doch nicht wegwerfen, was das wieder für einen Müll produziert… Und am Ende musst du es neu kaufen …”
Das ist das Eine.
Aber viel schwerwiegender sind die Gegenstände, die als Fenster in der Zeit wirken. Die Gegenstände meiner Eltern.
Meine Eltern sind beide nicht mehr am Leben. Alles, was ich noch von ihnen habe, trage ich in mir oder ist in Gegenständen verpackt. Jeder Gegenstand erzählt eine Geschichte. Jedes Stück ist ein möglicher Zugang zu ihnen als Menschen, zu ihrer Vergangenheit, die auch meine ist.
Da ist die Kaffeetasse meiner Mutter …
… braun und aus einem Material, das mir eigentlich nicht gefällt. Doch sobald ich sie in die Hand nehme, materialisiert sich um mich herum die Küche meiner Kindheit. Die Tapete mit orange-braunem Blumenmuster. Der Melitta-Filterhalter aus Plastik, abgewetzt von jahrelangem Gebrauch. Und meine Mutter, wie sie jeden Morgen aus dem pfeifenden Wasserkessel ihren Kaffee aufbrüht.
Nach und nach taucht der Blick durch das Fenster in den Garten auf. Ich nehme die Bäume wahr, auf denen die Eichhörnchen fangen spielten.
Das Geschenk einer kleinen Zeitreise steckt in dieser Tasse. Ich werde sie behalten. Keine Frage.
Und doch fühle ich mich in einer Zwickmühle.
Gegenstände transportieren Geschichten, sie sind Zugänge zu einer anderen Zeit, zu einem anderen Leben. Das ist sehr kostbar für mich. Nur mag ich nicht, dass es mir in meiner Gegenwart und meiner Entfaltung im Wege steht, dass es mich einengt, dass es mir den Blick verstellt.
Die Frage nach meiner Zeitperspektive drängt sich auf: Wo stehe ich? Im Jetzt, das nach Veränderung ruft? In der Vergangenheit, die mich durch diese Gegenstände festhält? Oder in der Zukunft, für die ich etwas bewahren möchte?
Meine Kinder haben meine Mutter nicht kennengelernt. Hat es so auch etwas mit der Zukunft zu tun, wenn ich Dinge bewahre, um ihnen ihre Oma immer wieder nahe zu bringen, oder ist es ein hoffnungsloses Festhalten an Vergangenem? Die Sorge, sie könnte noch mehr verschwinden, als sie eh schon verschwunden ist?
Eine eindeutige Antwort darauf gibt es wohl nicht.
GUNDULA BÖLKE- ZEUNER
1941 – 2012
Du setztest dich ein für Geschlechtergerechtigkeit, für Menschenrechte und für selbstbestimmtes und ausbeutungsfreies Leben und Arbeiten.
Selbstverständlich und ernsthaft hast du diese Kämpfe geführt, vieles angestoßen, was sich bis heute bewegt.
Dass Menschen besser aufrecht und gemeinsam gehen lernen, war dir wichtig. Aktiv und kreativ hast du Projekten deine Kraft geschenkt und deine Stimme verliehen.
Du hörtest nicht auf, dich über Ungerechtigkeit zu empören.
Nicht mit der Fahne vorneweg, nie auf ein Lob aus.
Als stille Vorreiterin überall dabei.
Jetzt bist du nicht mehr da,
wo du warst,
aber du bist überall,
wo wir sind.
Danke für alles, was du (für uns) erkämpft hast und für uns bist.
Februar 2012